"WARUM" eigentlich kam es zu einer Loslösung der deutschstämmigen, deutsch sprechenden, seit Jahrhunderten dort ansässigen und wirtschaftlich so erfolgreichen, fleißigen und escheidenen Volksgruppe aus Böhmen?
"WARUM" sehnte sich eine große Menschenmenge eines Tages nach einer Angliederung an Deutschland?
"WARUM" waren die Folgen dieser politisch-geografischen Veränderung für die Menschen der Stadt Asch eine Tragödie?
Die Antworten auf diese Fragen sind schwer und vor allem individuell sehr verschieden zu beantworten. Parteipolitische, finanzielle, völkische, einfach ideelle oder altersmäßig vielschichtige Ansichten wären zu berücksichtigen. Deshalb wird hier versucht nach strengen, nur tatsachengerechten Begebenheiten knapp zu berichten. In Deutschland hatte Adolf Hitler im Jahre 1930 einen großen Wahlsieg errungen. Davon profitierten auch die sudetendeutschen Nationalsozialisten. Bei allen weiteren Wahlen kamen sie sprunghaft voran, auch in Asch. Die Entwicklung machte die junge Tschechei immer nervöser. Es kam zu ausgedehnten Einschüchterungsversuchen und Verfolgungsaktionen. Prag schuf ein neues Gesetz "zum Schutz der Republik". Diese Paragraphen dienten nun für Prozesse am laufenden Band. Einer der bekanntesten wurde der Volkssportprozess. Er brachte eine Reihe führender Männer der DNSAP (Deutsche Nationalsozialistische Arbeiter-Partei) in den Kerker. Die Ersten, die sich bedroht fühlten, gingen nachDeutschland ins Exil. In Asch begann dieser Exodus erst nach zwei spektakulären Verhaftungswellen.
Eine Wählerversammlung für viele in Asch lebende Reichsdeutsche in einem Grenzwirtshaus bei Wildenau war der Anlass einer Verhaftungswelle. Vier Wochen Haft für 45 Personen, die in der Untersuchungshaft abgebüßt wurden, waren die Folge. Am 18. August 1933 holten tschechische Polizisten abermals 17 Männer aus Wohnungen oder ihren Arbeitsstätten. 19 Gendarmen eskortierten sie ins Egerer Kreisgerichtsgefängnis, wo sie neun Wochen in Haft blieben. Die Lage spitzte sich zu. Im Jahr 1933 lag über dem Ascher Bezirk wie überall im Sudentenland eine bedrohliche Spannung. Die völkischen Parteien, die Nationalpartei und die DNSAP, wurden im höchsten Maße bespitzelt. Als Beispiel: Ein Roßbacher Katechet namens Kotschy wurde unter Anklage gestellt, er habe in der Osterpredigt Tschechenhetze getrieben. Die Ascher Zeitung, ein national eingestelltes Blatt, wurde fast Woche für Woche beschlagnahmt. Ehe die Zeitung verkauft werden durfte, wurde ein Exemplar von der Bezirksbehörde zensiert. Weil dem Zensor sehr viel nicht behagte, hatte aus den Spalten sehr viel zu verschwinden. Der spätere Leser fand dann halbe oder ganze Spalten voller weißer Flecken. Im November 1933 wurde die völkischen Sudetentum das Verbandsturnfest in Saaz. Konrad Henlein - ein Ascher Turnlehrer - wurde Verbandswart. Henlein hatte sich als integrer, politisch unbelasteter Mann profiliert. Weite nationale Kreise setzten auf ihn die Hoffnung, dass ihm das Werk der nationalen Einigkeit gelinge. Er sollte sich auf eine parteipolitisch unbelastete Schicht, zumeist noch junger, aus der Volkstumsbewegung kommender Männer stützen. Am 30. September 1933, einem Samstag, erschien in den sudetendeutschen Zeitungen der Aufruf Konrad Henleins zur Gründung der "Sudetendeutschen Heimatfront". Das beschlussfassende Gremium tagte in Eger in der Gaststätte "Zum ewigen Licht". Drei Tage später liquidierten sich die DNSAP und die Deutsche Nationalpartei selbst. Mit diesem Schritt waren sie der Auflösung durch Prag zuvorgekommen. Dennoch folgte tags darauf eine große Haussuchungs- und Verhaftungsaktion. Die Kanzlei Henlein etablierte sich hier - die Partei-Hauptleitung war in Eger. Täglich fuhr der Turnlehrer von gestern im Bus nach Eger, neben sich ein Köfferchen, das für den Fall seiner jederzeit möglichen Verhaftung das Notwendigste enthielt. Verhaftungen erfolgten bald mehrfach, Henlein blieb ungeschoren.
Ungeachtet aller behördlichen Einschnürungen und Hindernisse begann im Sudetendeutschtum eine immer deutlichere Konzentration. über das Phänomen der raschen Konzentration des politischen Sudetendeutschtums zu einer alle Schichten umfassenden Volkspartei ist viel gerätselt worden. Nicht zu rütteln war an seiner Legalität; kein Terror, kein Wahlschwindel, keine Manipulation waren möglich oder an der Tagesordnung.
Die Arbeitslosigkeit in den sudetendeutschen Gebieten stieg weiter an. Die Not war in den ärgsten Notstandsgebieten so groß geworden, dass sich die Bürger unseres industrialisierten Sozial- und Rechtsstaates von heute überhaupt keine Vorstellung machen können. Das Schreckensausmaß erreichte besonders im Erzgebirge beinahe Elendsbilder der heutigen Hungerländer. "Drüben im Reich" vollzog sich unleugbar ein Aufschwung. 1934 wurde im rein deutschen Asch der letzte deutsche Bezirkshauptmann (Landrat) Preidel von einem Tschechen namens Dr. Kolar abgelöst. Auch altgediente Marxisten wurden schwankend und verschrieben sich schließlich der wie ein Magnet wirkenden Kräftekonzentration. Impulse gab es von außerhalb der Staatsgrenzen. Z.B. hatte am 13. Jänner 1935 die Saarabstimmung mit 90,0 Prozent der Stimmberechtigten für Deutschland stattgefunden.
Am 19. Mai 1935 fanden in der gerade 17 Jahre alten Tschechoslowakei Parlamentswahlen statt. Die umbenannte "Sudentendeutsche Partei" wurde mit 1.249.497 Stimmen die stärkste Partei der Tschechischen Republik. Nur eine Woche danach waren neue Wahlen angesetzt, der heutigen Länderparlamente ähnlich. Da gab es 71 Prozent aller deutschen Stimmen für die Sudetendeutsche Heimatfrontpartei.
Die alljährlichen Aufmärsche zwischen 1935 und 1938 jeweils am 1. Mai dienten nicht mehr dazu, um arbeitsrechtliche oder soziale Forderungen durchzusetzen, sondern waren nationalpolitische Demonstrationen gegen Prag. Vorausgegangen war der Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Österreich. Am 10. April 1938 sprachen sich 99,75 Prozent der Österreicher für den Anschluss an Deutschland aus.
Am 28. März empfing Hitler Henlein und seinen Mitstreiter K. H. Frank am Obersalzberg. Somit war die sudetendeutsche Frage zum europäischen Krisenherd geworden. England entsandte den Botschafter Lord Runciman. Er blieb etliche Monate, prüfte mit seiner Delegation die Probleme und entschied, die Abtrennung der deutschen Gebiete sei die einzige Lösung.
Am 21.9. 1938 gab in den Abendnachrichten ein sehr erregter Ansager des tschechischen Rundfunks folgendes bekannt: "Unsere Freunde, Frankreich, England und Russland haben uns im Stich gelassen, stehen uns nicht bei." Die Abtretungsbedingungen werden angenommen. Stürmische politische Wochen folgen. Nur knapp entging man einem Krieg.
Durch den Melniker Sender wurde um 21 Uhr am 21. September in deutscher Sprache bestätigt, was erst niemand glauben konnte. Die wenigen Tschechen verließen vorerst die Stadt Asch. Alles lief auf die Straßen, Fabriksirenen heulten, Kirchenglocken läuteten. Der rechtmäßige Anschluss ans Deutsche Reich war noch nicht vollzogen. Die tschechische Exekutive und damit die tschechische Staatsgewalt waren jedoch ausgeschaltet. Jetzt lag alle Last der Organisation bei der SDP-Exekutive. Eine staatsrechtlich knifflige Situation war entstanden. Keiner wusste, wie lange diese dauern würde.
Dazu kam bereits am Tage nach der Befreiungsnacht eine weitere Sorge, die sich rasch zu einem Schreckgespenst auswuchs. Benesch stand wenige Stunden später nicht mehr zu seinem Zugeständnis, das ihm die Weltmächte abgerungen hatten. Er entließ den Ministerpräsidenten Hodza, das Kabinett wurde umgebildet. Benesch hatte einen Plan, mit ihm setzte er sich von Prag ab. Tschechische Polizei und Gendarmerie kehrten zurück in deutsche Gebiete. Die Bevölkerung war völlig verschreckt. Benesch ordnete die Mobilmachung in der CSSR an. In Asch war man fest entschlossen, sich nicht wieder besetzen zu lassen. Die SDP-Exekutive verlautbarte: "Die Mobilmachung des Herrn Benesch in Prag, hat für den freien Bezirk Asch keine Gültigkeit. Wer immer es versuchen sollte, sich der Verfügung aus Prag zu unterwerfen und dem Mobilmachungsbefehl Folge zu leisten, wird von der SdP Exekutive als Hochverräter behandelt." Das war Rebellion und man wusste dies. Es gab kein Zurück mehr.
Fast stündlich tönte es aus den Lautsprechern in Asch "Etza dauert's nimmer lang...." (Jetzt dauert es nicht mehr lang). Man wollte sie an einer Rückkehr mit Gewalt hindern. Ein freiwilliger Schutzdienst und die Turner wurden aufgeboten, bald auch die sudetendeutsche Frontkämpfervereinigung "Heimatsöhne im Weltkrieg". Panzersperren aus gefällten Bäumen wurden schon am 22. September abends über die Straße Himmelreich-Steingrün und beim Goethestein gebaut. Waffen waren zunächst genug da¸ die Karabiner und Pistolen der tschechischen Polizei und Gendarmen. Es kam bei Haslau zu Schießereien und einer Fluchtwelle aus dem "Freistaat Asch". In diesen Tagen ging das Ringen um den Frieden auf der Weltbühne der Diplomatie weiter. Der britische Premier und Hitler trafen in Bad Godesberg zusammen. Diese Beschlüsse schmetterte Prag ab. In Frankreich Mobilmachung, höchste Alarmbereitschaft der englischen Flotte, ein Krieg stand an diesem 25. September drohend vor der Türe.
Die Versorgung mit Kohle und Lebensmitteln wurde geregelt über Adorf-Roßbach. Eine zu philatelistischer Berühmtheit gelangende Regelung des Postwesens ist nennenswert. Markensammler hatten dafür bald gute Witterung. Die "Ascher Notmarken", wie die schwarzen Überdrucke auf den tschechischen Werten hießen und da wieder besonders die in der Eile unterlaufenen Fehldrucke, waren heiß begehrt.
Im Donndorfer Schloss in der Nähe von Bayreuth warteten die führenden Männer der Sudetendeutschen Partei - sie waren nicht einmal als Beobachter zugelassen - in ihrer Abgeschiedenheit auf die Ergebnisse der nun stattfindenden Münchner Konferenz.
Am 29. und 30. September 1938 trafen sich auf Anregung Mussolinis in München die Mächtigen Europas. Sie verlautbarten am 30. kurz vor Mitternacht das Kommuniqué. Das Münchner Abkommen, als Friedenserhalter gefeiert, von den Tschechen geschmäht. Nach Jahrzehnten auch von Deutschland mit dem Ungültigkeitsstempel versehen.
Am 3. Oktober überschritt die deutsche Wehrmacht punkt 8 Uhr die Grenze in Wildenau bei Asch. Um 11.55 Uhr betrat Hitler zum ersten Mal sudetendeutsches Gebiet. Jubelszenen in der ganzen Stadt wie in Österreich. Der alldeutsche Traum, schon seit 1848 geträumt, war Wirklichkeit geworden.
Im Kreise Asch waren dies genau sechseinhalb Jahre: vom 3. Oktober 1938 bis 20. April 1945. Die Arbeitslosigkeit war kein Schreckgespenst mehr, Vollbeschäftigung kein Wunschtraum mehr. Viele verkehrstechnischen Wünsche wurden erfüllt oder geplant. Aber "Gleichschaltung" wurde bald geübt. Alte gewachsene Vereinsbindungen wie Turnvereine, Schützenvereine mussten unter Strafandrohung aufgelöst werden. Es kam zu überflüssigen, böswilligen Übergriffen. Henlein, jetzt Reichskommissar für die Sudetengebiete, musste klärend eingreifen.
Der neueingesetzte "Stillhaltekommissar" war ein hässlicher Titel für eine rücksichtslose Vollmacht. Es geschah z.B., dass er den Obmann des Ascher Textilindustriellenvereins kurzerhand hinter Schloss und Riegel setzte. Er hatte sich gegen die rigorose Überführung eines Vereins in eine industrielle Großorganisation widersetzt. Solche und ähnliche Vorkommnisse wurden lange hingenommen, als scheinbare Geburtswehen einer größeren Zukunft. Eingriffe in persönliche Bereiche übersah man vorerst, wenn man ihnen auch verständnislos gegenüberstand. Man ignorierte, was man nicht wahrhaben wollte. Kam es hoch, machte man sich im vertrauten Kreise durch "Meckern" Luft. Es bedarf keiner Beteuerung, dass niemand in Asch wusste, was sich hinter KZ-Mauern zutrug. Außer Dachau und Buchenwald kannte man nicht einmal Namen. Als die wenigen im Kreise Asch beheimateten Juden früher oder später wegzogen, erfuhren es die Bekannten und Nachbarn erst im Nachhinein. Die Bewohner Aschs hatten keine Kenntnis davon, dass auch in Asch eine Kristallnacht durchgeführt werden sollte. In einigen jüdischen Haushalten wurde böse gewütet und geplündert. Dies besorgte ein von auswärts angerücktes Kommando.
Am 15. März 1939, einem bitterkalten Frosttag, marschierte Hitler in die Rest-Tschechoslowakei ein. Das "Protektorat Böhmen und Mähren" wurde etabliert. Mit seiner schrecklichen Selbstherrlichkeit und völlig fehlendem Geschichtswissen steigerte er damit unnütz den Hass der tschechischen Nation auf alles Deutsche - begreiflicherweise.
Am 1. September 1939 eröffnete Hitler den Krieg gegen Polen. Neues Land für die deutsche Nation wollte er schaffen. Nach Blitzsiegen dort und in Frankreich folgten beispiellose Niederlagen. Das Deutsche Reich und Europa versanken in einem Meer aus Blut und Tränen.
Texthinweis: Benno Tins " Die eigenwillige Historie des Ascher Ländchens"
Ein kleines menschliches praktisches Beispiel der politischen und geschichtlichen Folgen.